Donnerstag, 18. Februar 2010

Beschleunigungsgebot bei Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft - Prüfungs- und Darlegungsanforderungen bei Haftfortdauerbeschlüssen

1. Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194, 195) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 273). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 53, 152, 161 f.). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.
2. Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten.
3. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Dabei ist nicht entscheidend, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß einnimmt, sondern ob die vorliegenden Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit eine Schwelle erreichen, die im Rahmen der Abwägung die Anordnung einer weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt.
4. Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (vgl. BVerfGE 46, 194, 195; BVerfGE 5, 109, 117). Allerdings vergrößert sich mit der Verurteilung auch das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Verurteilten als erwiesen angesehen worden ist.
Beschluss des BVerfG vom 13.05.2009 - 2 BvR 388/09
Die vollständige Entscheidung können Sie unter Angabe des vorgenannten Aktenzeichens nachlesen unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen.html